"Als kommunikatives Verhalten bezeichnen wir als Beobachter solches Verhalten, das im Rahmen sozialer Koppelung auftritt.

Unter Kommunikation verstehen wir das gegenseitige Auslösen von koordinierten Verhaltensweisen unter den Mitgliedern einer sozialen Einheit: Die Bildung eines sozialen Systems beinhaltet die dauernde strukturelle Kopplung seiner Mitglieder. Jeder einzelne Organismus ist nur so lange Teil einer sozialen Einheit, wie er Teil jener reziproken strukturellen Kopplung ist. Als Beobachter können wir deshalb ein Verhalten reziproker Koordination zwischen den Mitgliedern beschreiben"

Der Baum der Erkenntnis, Maturana & Varela, Seite 210

 

Humberto Maturana erklärt Kommunikation
"...

Die Biologen versuchen immer, sich die ihnen irgendwie brauchbar erscheinenden Aussagen der Physiker und Mathematiker zunutze zu machen. Häufig aber sind diese für die Biologie unbrauchbar, weil sie aus einem anderen als dem biologischen Standpunkt formuliert wurden. Es ist zwar möglich und sinnvoll, einen mathematischen Formalismus zu übernehmen und ihn aus einem biologischen Standpunkt in der Biologie zu verwenden. Ebenso kann man einige Konzepte aus der Physik auf diese Weise nutzen. Eine direkte Übertragung von diesen beiden Wissenschaften auf die Biologie ist jedoch ein Irrtum.

Mit der Kommunikation ist Derartiges passiert. Als die Kommunikationstheorie bzw. die Informationstheorie in der Fernmeldetechnik entwickelt wurde, dachten die Biologen, endlich einen Formalismus gefunden zu haben, um mit menschlicher Kommunikation und Information wissenschaftlich umzugehen. In Anlehnung an die Fernmeldetechnik wurde Kommunizieren als gegenseitige Übergabe von etwas aufgefasst. Sie folgten der technischen Erzählung, dass ein Sender einem Empfänger etwas herüberreicht.

Aus Sicht des Ingenieurs findet jedoch hier eine operationale Koordination zweier isomorpher Systeme statt, wobei - streng gesehen - nichts von einem zum anderen übergeben wird. Der Sender erzeugt auf einem Kanal eine Perturbation, die im Empfänger bestimmte, von seiner Struktur determinierte Zustände auslöst. Dabei bestimmt die Struktur des Empfängers, welche Zustandsveränderungen diese Perturbation in ihm auslöst. Der Beobachter betrachtet diese Perturbation als Botschaft und legt den Vorgang so aus, dass der Empfänger Information erhalten hat. Die Biologen übernahmen diesen Gedanken fast wortwörtlich und dachten: Nun haben wir es!

In der menschlichen Kommunikation würden wir uns gegenseitig Information übertragen, so sah man das in Biologie und Psychologie. Zu klären war noch, wie diese Information übertragen wird. Dafür bediente man sich einer Analogie und fasste Kommunikation als kommunizierende Röhren auf. De facto aber, übertragen wir uns im strengen Sinne überhaupt nichts. In der Kommunikationstheorie und Fernmeldetechnik erkennen wir allerdings, dass Sender und Empfänger isomorphe Systeme sein müssen, die gleiche Listen aller möglichen Botschaften enthalten. Darum ist es möglich, mit Hilfe geeigneter Verfahren einen Zustand der Liste beim Sender mit dem entsprechenden Zustand aus der Liste beim Empfänger zu verbinden. Beide Listen sind gleich, die Systeme sind isomorph.

..."

Aus Gespräche mit Humberto Maturana -

Fragen zur Biologie, Psychotherapie und den Baum der Erkenntnis

oder: die Fragen, die ich immer stellen wollte

Titel der Orginalausgabe: Conversaciones con Humberto Maturana: Preguntas del psicoterapeuta al biólogo"
Temuco, Chile: Ediciones Universidad de La Frontera 1992
© by Kurt Ludewig-Cornejo and Humberto Maturana-Romesín


Niklas Luhmann feat. Maturana: Kommunikation ist das Basiselement aller sozialen Systeme.

Niklas Luhmann überraschte Don Humberto mit einer gelungenen Übertragung seines Kommunikationsverständnisses auf soziale Systeme: Der Mensch ist ein Konglomerat von einem biologischen und psychischen System. Beide Systeme sind strukturell gekoppelt. Sie teilen den gleichen Lebensraum, z.B. Don Humberto und Luhmann.

"Ein ungeübtes Gehirn ist schädlicher für die Gesundheit als ein ungeübter Körper."

George Bernard Shaw

Kommunikation ist das Basiselement aller sozialen Systeme.

Eine Handlung kann einem einzelnen Menschen zugeordnet werden.

Die Kommunikation koppelt zwei oder mehr Menschen und ihre Handlungen miteinander.

Soziale Systeme kommen durch Kommunikation ihrer Akteure zustande.

Sie bilden sich zwischen den Bewusstseinssystemen der beteiligten Menschen.

Ohne Bewusstseinssysteme gibt es keine Kommunikation.

Kommunikation ist nicht der Austausch von Daten oder Informationen zwischen Personen.

Mit Kommunikation wird nichts übertragen, sondern beim Empfänger eine Differenz von Information und Mitteilung erzeugt, die dann Verstehen zur Folge hat.

Kommunikation ist die Einheit der Unterscheidung von Information, Mitteilung und Verstehen:

Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein (Luhmann).

Kommunikation ist ein Stück mit zwei Akteuren in vier Akten (nach Luhmann, dem Titan der Soziologie):

- Selektion der Information (Sender)

- Selektion der Mitteilung der selektierten Information (Sender)

- selektives Verstehen oder Missverstehen der selektierten Mitteilung und ihrer Information (Empfänger)

- Sinn-Verstehen - den Inhalt der Mitteilung verstehen und den Senders Sinnangebot annehmen oder ablehnen (anschließend wechselt der Empfänger in die Rolle vom Sender, startet eine neue Kommunikation!)

Luhmann sagte einmal: "Ich denke manchmal, es fehlt uns nicht an gelehrter Prosa, sondern an gelehrter Poesie."

Buchtipp: Luhmann leicht gemacht, Margot Berghaus, Verlag Böhla

grenze system - umwelt

Aus Luhmann leicht gemacht, Margot Berghaus

Folgende Zeilen (etwas geändert) haben wir dem Buch Wer bin ich - und wenn ja wie viele? von Richard David Precht entnommen (Seite 301 - 307).

"...

Luhmanns Anliegen war es herauszufinden, wie die Gesellschaft funktioniert.

Luhmann studiert Verwaltungswissenschaft in Harvard und lernt dort den amerikanischen Soziologen Talcott Parsons kennen. Dessen Systemtheorie unterteilt die Gesellschaft in einzelne unabhängige funktionale Systeme - ein Gedanke, der Luhmann sofort überzeugt.

Einen zweiten Ausgangspunkt fand er in der Biologie.

Die Entwicklung sozialer Systeme, so meinte Luhmann, ließe sich zwar, wie Talcott Parsons es tat, mit Begriffen der Evolutionstheorie erklären. Aber soziale Systeme waren damit keinesfalls eine besondere Form von biologischen Systemen, auch wenn Menschen unzweifelhaft Lebewesen sind.

Warum nicht?

Weil soziale Systeme, so Luhmann, nicht aus dem Austausch von Stoff- und Energieumsätzen von Lebewesen bestehen, sondern aus dem Austausch von Kommunikation und Sinn. Kommunikation und Sinn sind aber etwas so grundsätzlich anderes als etwa Proteine, dass es sich für einen Soziologen nicht einmal lohne, über solche biologischen Grundlagen allzu viel nachzudenken. Dass Menschen Lebewesen, mithin so etwas wie »soziale Tiere« sind, interessierte Luhmann überhaupt nicht. Von der Biologie zu lernen, bedeutete für ihn etwas ganz anderes.

Seine Anreger waren die chilenischen Forscher Humberto Maturana und Francisco Varela. Don Humberto gehört zu den Begründern der theoretischen Biologie. In den 60er Jahren beschäftigt sich Don Humberto mit der Frage: »Was ist Leben?«

Don Humberto erklärte Leben als ein »System, das sich selbst hervorbringt und organisiert«.

So wie das Gehirn den Stoff selbst erzeugt, mit dem es sich beschäftigt, so hätten Organismen fortwährend damit zu tun, sich am Leben zu erhalten und sich dadurch zu erzeugen.

Diesen Prozess nannte er Autopoiese (Selbsterzeugung).

Als er diesen Grundgedanken 1969 auf einer Konferenz in Chicago bekannt gab, begann der gleichaltrige Niklas Luhmann gerade mit seinen Vorlesungen an der Universität Bielefeld.

Als er später von Maturanas Konzept der Autopoiese hörte, war er sofort angetan.

Denn Don Humberto Maturana hatte nicht nur die Selbsterzeugung des Lebens und des Gehirns beschrieben, sondern auch den Begriff die Kommunikation neu definiert:

Wer kommuniziert, so Maturana, übermittelt nicht einfach eine Information. Vielmehr organisiert er mithilfe seiner wie auch immer beschaffenen Sprache ein System.

1. Bakterien tauschen sich miteinander aus und bilden so ökologisches System.

2. Hirnregionen kommunizieren und erzeugen so ein neuronalas Öko-System: Das Bewusstsein.

Sind dann nicht auch soziale Systeme, so dachte Luhmann, weiter ein autopoietisches System, enstanden durch sprachliche -also symbolische- Kommunikation?

Luhmann wollte die sozialen Systeme einer Gesellschaft auf der Grundlage des Begriffs Kommunikation. In der Idee der Autopoiese fand er einen wichtigen bislang doch fehlenden Baustein. Obwohl Don Humberto Maturana diese ehrgeizige Übertragung später für äußerst fragwürdig halten sollte, überflügelte sein deutscher Mitspieler den chilenischen Biologen und auch alle anderen Anreger bei weitem.

Luhmann wurde nicht nur einer der schärfsten Beobachter gesellschaftlicher Prozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war ein »intellektueller Kontinent«, ein Theoriebaumeister der Superlative. Bereits der Ansatz beim Begriff »Kommunikation« war eine Revolution. (Anm. tural - der Begriff Revolution behagt uns zwar nicht, wollen wir die Wortwahl von Precht dennoch unangetastet wiedergeben.)

Bislang hatten die Soziologen von Menschen gesprochen, von Normen, von sozialen Rollen, von Institutionen und von Handlungen. Doch bei Luhmann handeln keine Menschen mehr. Es geschieht Kommunikation. Und es ist weitgehend egal, wer da kommuniziert.

Entscheidend ist nur die Frage: »Mit welchem Ergebnis?«.

3. In der menschlichen Gesellschaft tauschen sich keine Stoffe und Energien aus wie die Bakterien, keine Neuronen wie im Gehirn, sondern Erwartungen.

Doch wie werden Erwartungen erwartet?

Welche Erwartungen werden erwartet?

Was entsteht daraus?

Wie schafft es die Kommunikation, Erwartungen so auszutauschen, dass moderne soziale Systeme entstehen, die tatsächlich weitgehend stabil und unabhängig von anderen Einflüssen funktionieren.

Systeme wie

- die Politik,

- die Wirtschaft,

- das Recht,

- die Wissenschaft,

- die Religion,

- die Erziehung,

- die Kunst oder

- die Liebe.

Ich habe gar kein Kommunikationsproblem, Signora!

Unternehmen, Prozesse, Projekte als soziale Systeme bestehen aus spezifischer und unspezifischer Kommunikation.

Die spezifische Kommunikation legt sich auf eine Handlung fest.
Die unspezifische belässt es sowohl bei Ziel- als auch Inhaltsmehrdeutigkeit.

Über "wir haben ein Kommunikationsproblem!" spannen Sie diese Kategorisierung auf. Die meisten "Kommunikationsprobleme" entstehen aufgrund der Selektion vom Sender. Das Kommunikationsverständnis von Shannon und Weaver, das in der gängigen Projektmanagement-Literatur oder in meisten Projektmanagement-Seminaren vermittelt wird, bezieht sich auf Signalübertragung bzw. Datenübertragung.

Kommunikationserfolg liegt nicht in der gleichsinnigen inhaltlichen Verständigung, d.h. im Konsens. Die erfolgreiche Kommunikation ist fortgesetzte Kommunikation.

Die Empfängerin meiner Mitteilung, Signora Coco Lorès, bestimmt über den Kommunikationserfolg.