© Prof. Dr. Fehmi Alagün Graz / Bosporus 

Industrie 4.0 Transformation setzt die transkulturelle Kompetenz voraus 

"Die Kulturen sind hochgradig miteinander verflochten und durchdringen einander. Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Nationalkulturen, sondern überschreiten diese und finden sich ebenso in anderen Kulturen. Die neuartigen Verflechtungen sind eine Folge von Migrationsprozessen sowie von weltweiten materiellen und immateriellen Kommunikationssystemen (Digitalisierung, internationale Mobilität) und von ökonomischen Interdependenzen."

Seit Mitte der 90er plädiert Prof. Dr. Wolfgang Welsch für ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen. Anstelle der Isolierung und des Konflikts, stellt er die Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt. Sein Konzept befördert nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktion.  

Das Internet hat die Grenzen zwischen Abendland und Morgenland technologisch aufgehoben. Die Grenze existiert jedoch in den Köpfen. Wer sich mit den Themen wie Digitalisierung, Internet der Dinge, Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing befasst, muss die Grenze im eigenen Kopf abbauen.

Dafür müssen wir zuerst die Begriffe multikulturell, interkulturell, transkulturell beschreiben. Ich finde die theoretische Annäherung von Wolfgang Welsch in sich konsistent, so dass sich meine Definition für transkulturelle Kompetenz fit for 2020 an ihn orientiert.

Kulturen, die wie einsame Inseln oder einzelne Kugeln verfaßt sind, können sich der Logik ihres Begriffs gemäß eben nur voneinander absetzen, sich gegenseitig verkennen, ignorieren, diffamieren oder bekämpfen, nicht hingegen sich verständigen und austauschen.

Multikulturalität

Die Multikulturalität bezieht sich auf die Probleme des Zusammenlebens verschiedener Kulturen innerhalb einer Gesellschaft. Es geht von der Existenz klar unterschiedener, in sich homogener Kulturen aus, nur jetzt innerhalb ein und derselben staatlichen Gemeinschaft, z.B. in Deutschland.

Wenn die Kulturen tatsächlich noch immer inselartig und kugelhaft verfasst wären, dann könnte man das Problem ihrer Koexistenz und Kooperation weder loswerden noch lösen. Die Auffassung der Kulturen als abgeschirmte Kugeln oder einsame Inseln im Pazifik ist zur Beschreibung der Tatsachen falsch und zur Definition von Normen irreführend. Die Kulturen haben im digitalen Zeitalter nicht mehr die unterstellte Form der Homogenität und Separiertheit.

Die Menschen, die in Parallelgeselschaften leben, orientieren sich an diesem nicht mehr gültigen Kultur-Verständnis. Dabei beschränkt sich die Orientierung nicht nur auf bestimmte, in den Medien und von den Politikern oft thematisierte Minderheiten. Auch die Gruppen aus der Mehrheitsgesellschaft, die in ihrem Kokon leben wollen und keine Nachbarn aus anderen Herkünften dulden, bilden eine eigene Parallelgesellschaft.

Die Sätze "die Multi-Kulti ist tod" oder "die Multi-Kulti ist gescheitert" sind demnach falsch. Solange solche Parallelgesellschaften -egal ob in der Mehrheitsgesellschaft oder in der Minderheitsgesellschaft- existieren, lebt die Multikulti in den Köpfen und im Alltag weiter.

Dass man gelegentlich durch die Küchen der Erde Spaziergänge macht oder in anderen Ländern Urlaub verbringt, löst das Problem nicht. Es geht um das Bewusstsein und nicht um den Bauch.

Wenn ein Kokonbewohner nach dem Verzehr vom Döner mit allem ohne scharf sagt: "Wir sind Multikulti", hat er recht. Die einzige Interaktion findet an der Döner-Theke statt. Döner mit allem ohne scharf hindert diesen Kokonbewohner nicht, dass er um den Wertverlust des eigenen Reihenhauses befürchtet, wenn der Dönerbudenbesitzer das Reiheneckhaus an der gleichen Zeile kauft.

Die Fachleute, die in ihrer Parallelgesellschaft leben, sind für Industrie 4.0, Internet der Dienste, Internet der Dinge nicht geeignet. Das Internet der Dienste setzt Kulturen übergreifende Kommunikation voraus.

Die Misere des Konzepts der Interkulturalität

Sie rührt daher, daß es die Prämisse des traditionellen Kulturbegriffs unverändert mit sich fortschleppt.

Das Konzept der Interkulturalität versucht die traditionelle Multi-Kulti-Vorstellung nicht zu überwinden, sondern will sie bloß ergänzen, um ihre problematischen Folgen aufzufangen. Es reagiert auf den Umstand, daß die Kugelverfassung der Kulturen notwendig zu interkulturellen Konflikten führt. Kulturen, die wie Inseln oder Kugeln verfasst sind, können sich der Logik ihres Begriffs gemäß eben nur voneinander absetzen, sich gegenseitig verkennen, ignorieren, diffamieren oder bekämpfen, nicht hingegen sich verständigen und austauschen.

Die meisten interkulturellen Trainings orientieren sich an diesem Verständnis: "Achte darauf, dass Du in einem anderen Kulturkreis nicht ins Fettnäpfchen trittst!"

Die interkulturelle Kompetenzentwicklung sucht nach Wegen, wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen sich gleichwohl miteinander vertragen, wie sie miteinander kommunizieren, einander verstehen oder anerkennen können. Hier hat die Suche nach interkulturellen Konstanten ein unerschöpfliches (weil ergebnisloses) Betätigungsfeld.

Es geht noch immer von einer insel- bzw. kugelartigen Verfassung der Kulturen aus. Eben deswegen vermag es zu keiner Problemlösung zu gelangen, denn die interkulturellen Probleme entspringen der Insel- bzw. Kugelthese der Kulturen.

Das klassische Kulturkonzept schafft durch seinen Primärzug, den separatistischen Charakter der Kulturen, das Sekundärproblem der strukturellen Kommunikationsunfähigkeit und schwierigen Koexistenz dieser Kulturen. Daher sind die Empfehlungen zur Interkulturalität zwar gut gemeint, aber ergebnislos. Das Konzept versäumt es, die Wurzel des Problems anzugehen. Es ist bloß kosmetisch.

Abdelkarim (ja der Abdelkarim aus Bielefelder Bronx) auf Facebook am 28. Januar 2015:

»Ich finde es sehr lustig, dass einige ernsthaft darüber diskutieren, ob der Islam zu Deutschland gehört. Dann lieber Bachelor gucken.

Im Grundgesetz gibt es die Religionsfreiheit also gehört der Islam wie jede andere Religion auch zu Deutschland. Bei der ganzen Debatte fehlt mir so ein bisschen der Respekt vor unserem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Und natürlich braucht Deutschland den Islam. Ohne Islam wären einige Islamexperten arbeitslos. Außerdem hätten viele Zeitschriften ohne Islam kein Titelbild mehr.

Lasst Euch nicht verarschen. Und seid nett zueinander.

Alles andere ist im Moment schamlose Geldmache mit Pseudodebatten.« 

Wenn Sie Mehmet Gürcan Daimagüler immer noch an seinen Deutschkenntnissen bewundern, dann ist es an der Zeit, dass Sie aus Ihrem Kokon ausbrechen, um fit für 2020 zu werden. Bevor Sie meinen nächsten Beitrag lesen, lohnt es sich vorher nach dem Werdegang von Mehmet Gürcan Daimagüler zu googeln.

Plädoyer für die transkulturelle Kompetenzentwicklung

Transkulturalität im Schulunterricht von Dr. Arata Takeda

Vier Rezepte für eine transkulturelle Pädagogik:

- differenzieren,

- entschematisieren,

- historisieren,

- kontextualisieren

»Transkulturelles Lernen heißt, lernen, über kulturelle Differenzen hinauszudenken.

Seitdem wir wissen, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft leben, denken wir immer häufiger in kulturellen Differenzen.

Das ist an sich eine begrüßenswerte Entwicklung, denn über die lange Zeit, da Deutschland sich weigerte, sich als Einwanderungsland zu verstehen, war auch das nicht nötig.

Die Einwanderungsgesellschaft hat uns für die Vielfalt von Kulturen sensibilisiert. Wir wissen heute viel mehr über andere Kulturen als vor ein paar Jahrzehnten, und wir sind auch viel besser in der Lage, kulturelle Differenzen zu erkennen und zu verstehen.

Aber sind wir damit auch als Gesellschaft insgesamt zusammengerückt?

Das ist die entscheidende Frage, die sich nach einem halben Jahrhundert Einwanderung in Deutschland stellt. Ich sehe, dass das Denken in kulturellen Differenzen auch die Gefahr mit sich gebracht hat, die Bedeutung von Kultur überzubewerten. Worte wie „kulturbedingt“ und „kulturspezifisch“ haben in unserem Vokabular Hochkonjunktur.

Dinge, die so bezeichnet werden, sind in Wirklichkeit viel komplexer, aber Kultur macht das Erklären von Dingen einfacher, bequemer.«

Nach Dr. Takeda können Lehrerinnen und Lehrer sich vier Kontrollfragen stellen, um zu sehen, ob sie sich auf dem transkulturellen Weg befinden:

- Spreche ich im Umgang mit Schülerinnen und Schülern von Kulturen als etwas, worauf sie ihr Leben lang Einfluss nehmen können, statt als etwas, woran sie nichts ändern können?

- Messe ich im Umgang mit Schülerinnen und Schülern Faktoren wie sozialer Schicht, Geschlecht, Religion, sozialem Umfeld und sexueller Orientierung vergleichbare Bedeutung bei wie dem Faktor „Kultur“?

- Achte ich genauso darauf, welche Wege die Schülerinnen und Schüler in ihrem bisherigen Leben zurückgelegt haben, wie darauf, woher sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern stammen?

- Achte ich genauso darauf, was bei den Schülerinnen und Schülern an außerkulturellem Potential vorhanden ist, wie darauf, was bei ihnen an kulturellen Ressourcen da ist?  

Die vier Fragen empfehle ich auch den Fachleuten, die sich mit der Kompetenzentwicklung für Industrie 4.0 Transformation befassen.

Die transkulturelle Kompetenzentwicklung bietet große Wettbewerbschancen von Deutschland im globalen Neuland Internet der Dienste inkl. Industrie 4.0.